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Gamification, also der Einsatz von Spielmechanismen in Nicht-Spiel-Bereichen, hält zunehmend Einzug in unseren Alltag. Meist steht dahinter das Ziel, menschliches Handeln zu beeinflussen[ref]Beispielsweise regen einige Autos durch das Aufblühen einer stilisierten Blume im Tacho-Display zu ökologisch nachhaltigem Fahrverhalten an, vgl. http://www.auto-motor-und-sport.de/einzeltests/honda-insight-im-test-kompakter-mild-hybrid-zum-kleinen-preis-1307106.html.[/ref]. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche Spielmechanismen implizit in Unternehmen eingesetzt werden, welche Erfahrungen bei expliziter Gamification von Unternehmenssoftware bereits gesammelt wurden und wo sich Bereiche finden, in denen Gamification besonders erfolgversprechend eingesetzt werden könnte.
Zielsetzung
Das Ziel der hier zusammengefassten Untersuchung war es, einen Überblick zum Forschungsstand bzw. zur praktischen Umsetzung von Gamification-Konzepten innerhalb von Unternehmen zu geben. Die Kernfragen hierbei waren:
- Welche impliziten Spiel-Mechanismen finden sich im praktischen Einsatz innerhalb von Unternehmen?
- Welche Erfahrungen haben Unternehmen bisher mit Gamification gemacht und wie bewerten wissenschaftliche Studien diese?
- Gibt es aufbauend auf den gesammelten Erkenntnissen Bereiche, in denen Unterstützung durch Gamification einen belegbaren wirtschaftlichen Mehrwert bietet und/oder zu einer größeren Motivation von Mitarbeitern führt?
Für die Beantwortung dieser Fragen wurden sowohl verfügbare wissenschaftliche Publikationen als auch am Markt verfügbare Softwarelösungen betrachtet. Neben den Ergebnissen enthält der Untersuchungsbericht auch eine Übersicht der identifizierten Spielmechanismen. Auf eine genauere Beschreibung der Mechanismen wird an dieser Stelle verzichtet und stattdessen auf den einführenden Artikel zum Thema Gamification verweisen.
Implizit genutzte Spielmechanismen
Es finden sich viele Beispiele impliziter Nutzung von Spielmechanismen in Unternehmen.
Boni
Sehr bekannt und öffentlich viel diskutiert ist die Zahlung von Boni an Mitarbeiter für gute Einzelleistungen, wie z.B. besonders gute Verkaufszahlen. Insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen und dem Bankensektor ist dieses Prinzip sehr geläufig (Nastansky & Lanz, 2010)[ref]Nastansky, A.; Lanz, R. (2010). Bonuszahlungen in der Kreditwirtschaft: Analyse, Regulierung und Entwicklungstendenzen. Potsdam.[/ref]. Der einzige Unterschied zum gleichnamigen Spielmechanismus ist wohl, dass in den meisten Spielen statt echtem Geld nur Punkte gewonnen werden können. Ein Teil der Bonuszahlungen wird häufig auf Grund des Erfolgs einer Abteilung (und nicht einer Einzelperson) ausgeschüttet (Nastansky & Lanz, 2010)[ref]Nastansky, A.; Lanz, R. (2010). Bonuszahlungen in der Kreditwirtschaft: Analyse, Regulierung und Entwicklungstendenzen. Potsdam.[/ref]. Hier könnte der Mechanismus Community Collaboration zum Tragen kommen, da dem einzelnen Mitarbeiter aus der Zusammenarbeit mit anderen ein Vorteil erwächst.
Auszeichnungen
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Fast genauso populär sind Auszeichnungen wie „Mitarbeiter des Monats“, die nicht nur Gegenstand von Hollywood-Komödien[ref]Mitarbeiter des Monats, Regisseur Greg Coolidge, Komödie, USA 2006[/ref], sondern auch wissenschaftlicher Analyse (Barankay, 2010)[ref]Barankay, I. (2010). Rankings and Social Tournaments : Evidence from a Field Experiment. Philadelphia. Im Netz: http://personal.anderson.ucla.edu/policy.area/seminars/winter2011/iwan/iwanpaper.pdf.[/ref] geworden ist. Darunter verbergen sich gleich eine ganze Reihe Spielmechanismen. Neben dem Achievement-Charakter spielt auch die sog. Envy-Dynamic[ref]Eine Erklärung der Envy Dynamic findet sich in: Hiltbrand, T., & Burke, M. (2011). How Gamification will change Business Intelligence. Business Intelligence Journal, 6(INL/JOU-11-21248), 8-17. Idaho National Laboratory (INL).[/ref] eine große Rolle. Wenn die Vergabe zusätzlich auf festen Parametern wie erzieltem Umsatz basiert, kommen auch Punkte und Leaderboard-Dynamic hinzu. Beispielhaft hierfür wäre eine Verkaufsabteilung, in der Ranglisten über die aktuellen Umsatzergebnisse der einzelnen Verkaufsmitarbeiter geführt werden.
Zieldefinitionen und -vereinbarungen
Ein weiteres implizites Gamification-Element ist das Definieren und Vermitteln von Unternehmenszielen. Hierdurch sollen die Mitarbeiter zu Mitunternehmern werden, die sich persönlich für das Erreichen (eines Teils) der Unternehmensziele einsetzen (Dahl, 2010)[ref]Dahl, H.-G. (2010). Führen mit Zielen – Erfahrungen aus der Praxis. In M.-O. Schwaab, G. Bergmann, F. Gairing, & M. Kolb (Eds.), Führen mit Zielen (pp. 297-311). Wiesbaden: Gabler.[/ref]. Dieses Mitwirken am großen Ganzen findet sich auch im Spielmechanismus Epic Meaning wieder. Die Umsetzung von Unternehmenszielen gestaltet sich ähnlich schwierig wie die Verwendung des Mechanismus Epic Meaning, denn wie beim Entwickeln eines fesselnden Spiels ist es nicht trivial, Mitarbeiter und Management zur Akzeptanz von Unternehmenszielen zu bewegen (Dahl, 2010)[ref]Dahl, H.-G. (2010). Führen mit Zielen – Erfahrungen aus der Praxis. In M.-O. Schwaab, G. Bergmann, F. Gairing, & M. Kolb (Eds.), Führen mit Zielen (pp. 297-311). Wiesbaden: Gabler.[/ref].
Bei Terminen und Fristen kann nicht grundsätzlich vom impliziten Einsatz zeitbehafteter Spielmechanismen ausgegangen werden. Ein unternehmensinterner Wettbewerb um die meisten Verkäufe in einem Monat pro Mitarbeiter oder Abteilung könnte als Beispiel für eine Countdown-Dynamik gezählt werden. Liefertermine in einem Werkvertrag sind jedoch Teil einer vertraglich vereinbarten Leistung. Auch wenn hier eine äußere Ähnlichkeit zur Appointment-Dynamik besteht wäre der Begriff Spielmechanismus in einem solchen Kontext unangebracht.
Beispiele für Gamification im Unternehmenseinsatz
Im Rahmen der Untersuchung wurde eine ganze Reihe von Softwareprodukten für den Unternehmenseinsatz untersucht, die Spielmechanismen aufweisen. An dieser Stelle werden
- IBM Beehive (wegen der guten wissenschaftlichen Analysen) und
- Kudos Badges (auf Grund der vielen Spielmechanismen)
exemplarisch im Detail vorgestellt. Darüber hinaus wurden in der Recherche zu diesem Artikel
- das Dogear-Game [ref]Dugan, C., Muller, M., Millen, D., & Geyer, W. (2007). The Dogear Game: a Social Bookmark Recommender System. Proceedings of the 2007 international ACM conference on Supporting group work (pp. 387-390). Sanibel Island, Florida, USA: ACM New York, NY.[/ref],
- Newsgator Social Site 2010[ref]Vgl. http://www.newsgator.com/products/social-sites-for-sharepoint-2010.aspx.[/ref],
- RedCritterTracker[ref]Vgl. http://www.redcrittertracker.com/.[/ref],
- Visual Studio Achievements[ref]Vgl. http://channel9.msdn.com/achievements/visualstudio.[/ref] und
- SAP Lead-in-One[ref]Vgl. http://www.forbes.com/sites/sap/2011/03/04/the-gamification-of-sap/.[/ref]
betrachtet, die hier zwar nicht im Detail vorgestellt, aber in der zusammenfassenden Tabelle zu “eingesetzten Spielemechanismen” aufgeführt werden.
IBM Beehive
IBM Beehive ist ein soziales Netzwerk, welches unternehmensintern bei IBM eingesetzt wird. Eine solche Plattform lebt von der aktiven Beteiligung einer möglichst großen Zahl an Nutzern. Um dies zu erreichen wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts durch (Farzan et al., 2008)[ref] Farzan, R., DiMicco, J. M., Millen, D. R., Dugan, C., Geyer, W., & Brownholtz, E. A. (2008). Results from Deploying a Participation Incentive Mechanism within the Enterprise. Proceeding of the twenty-sixth annual SIGCHI conference on Human factors in computing systems (pp. 563–572). New York: ACM.[/ref], (Farzan et al., 2008a)[ref]Farzan, R., DiMicco, J., & Millen, D. (2008). When the Experiment is over: Deploying an Incentive System to all the Users. CHI ’08 Proceedings of the twenty-sixth annual SIGCHI conference on Human factors in computing systems. Florenz: ACM. [/ref] und (Thom et al. 2012)[ref]Thom, J., Millen, D. R., Dimicco, J., & Street, R. (2012). Removing Gamification from an Enterprise SNS. Proceedings of the ACM 2012 Conference on Computer Supported Cooperative Work (CSCW’12). S 1067-1070. Seattle: ACM.[/ref] ausgewertet, wie sich die Einführung eines Punktesystems auf das Nutzerverhalten auswirkt. IBM Beehive verfügt über drei Arten an Inhalt: Profilseiten sowie durch Nutzer eingestellte Bilder und Listen. Des Weiteren kann jeder Nutzer Kommentare zu diesen erstellen. Je nach Typ des erzeugten Inhalts wird der Nutzer mit Punkten belohnt:
Nutzerinteraktion | Punkte |
---|---|
Erstmaliges Einstellen von Informationen auf dem eigenen Nutzerprofil | 100 |
Einstellen eines Bildes | 5 |
Einstellen einer Liste | 10 |
Kommentieren eines Nutzerprofils, Bildes oder einer Liste | 15 |
Aufbauend hierauf steigt der Nutzer in einem vierstufigen Levelsystem von der “New Bee” bis zur “Super Bee” auf. Das zugehörige Badge wird sowohl auf dem Profil als auch neben dem Nutzernamen in Kommentaren angezeigt. Zusätzlich wurde eine Top-10-Liste implementiert, die dem einzelnen Nutzer die Möglichkeit gibt sich mit andern Nutzern zu vergleichen. Die Profilfotos der Top-10-Nutzer werden auch auf der Startseite des Netzwerks angezeigt:
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Insgesamt sieht man bei IBM Beehive eine Kombination aus punktbasiertem Beloh-nungssystem mit einer Level-up-Dynamik. Hinzukommt die Leaderboard und Envy-Dynamic als vergleichende Mechanismen.
Kudos Badges
Kudos Badges ist eine Erweiterung für IBM Connections. Es handelt sich laut Hersteller um eine Gamification-Engine. Die Grundlage bildet ein umfangreiches Metriksystem, das auch Metriken für Programme und Anwendungen außerhalb von IBM Connections einbinden kann. Dieses lässt im Gegensatz zu den anderen betrachteten Produkten einen wesentlich integrierteren Gamification-Ansatz zu.
Neben den schon im Namen angedeuteten Badges besteht die Möglichkeit, Punkte für definierte Aktionen zu vergeben. Hier kann auch ein Zeitraum oder –punkt als Ziel definiert werden. Die Top-10 Nutzer sind dabei auf einem Leaderboard für alle einsehbar. Des Weiteren können Missionen designt werden und der Anwender kann seinen eigenen Fortschritt auf der eigenen Profilseite mitverfolgen:
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Die Zahl der eingesetzten Spielmechanismen ist bei Kudos Bages besonders groß. Neben Punkten und Achievements sowie den dazugehörigen Vergleichsdynamiken findet sich auch die Möglichkeit, Countdown- und Appointment-Dynamiken einzubauen. Ein weiterer zentraler Bestandteil ist die Progression-Dynamik, wie im Screenshot des Nutzerprofils oben gut zu erkennen ist. Der Schwerpunkt scheint jedoch insgesamt auf den vergleichenden Mechanismen zu liegen.
Eingesetzte Spielmechanismen
In den betrachteten Beispielen kamen vor allem Punkte und Achievements als grundlegende Spielmechanismen zum Einsatz. Darauf aufbauend setzten viele der betrachteten Beispiele auch auf vergleichende Mechanismen wie Envy- und Leaderboard-Dynamik. Zusätzlich dazu nutzen sowohl IBM Beehive als auch Kudos Badges eine Level-up-Dynamik. Kudos Bagdes verwendet als weitere Kernelemente die Progession-Dynamik und zeitbehaftete Mechanismen wie die Countdown- und Appointment-Dynamik. Die letzten beiden finden sich ansatzweise auch bei RedCritter Tracker. Folgende Tabelle fasst die eingesetzten Spielemechanismen der vorgestellten sowie der weiteren betrachteten Produkte zusammen:
Spielmechanismus | IBM Beehive | Dogear | Social Site | Kudos Badges | RedCritter Tracker | Visual Studio Achievements |
---|---|---|---|---|---|---|
Punkte | [gut] | [gut] | [schlecht] | [gut] | [gut] | [gut] |
Achievememts | [schlecht] | [schlecht] | [gut] | [gut] | [gut] | [gut] |
Envy Dynamic | [gut] | [schlecht] | [gut] | [gut] | [gut] | [gut] |
Leaderboard | [gut] | [schlecht] | [schlecht] | [gut] | [schlecht] | [gut] |
Level-up | [gut] | [schlecht] | [schlecht] | [gut] | [schlecht] | [schlecht] |
Progression | [schlecht] | [schlecht] | [schlecht] | [gut] | [schlecht] | [schlecht] |
Appointment | [schlecht] | [schlecht] | [schlecht] | [gut] | [gut] | [schlecht] |
Countdown | [schlecht] | [schlecht] | [schlecht] | [gut] | [gut] | [schlecht] |
Geeignete Anwendungsbereiche
Von den eingesetzen Spielmechanismen auf geeignete Anwendungsbereiche zu schließen gestaltet sich schwierig, da nur zu IBM Beehive wissenschaftliche Studien in aussagekräftiger Qualität zur Verfügung stehen. Die Analyse des Nutzerverhaltens in diesen Studien zu Beehive zeigt vor allem zwei wesentliche Resultate. Zum einen ergibt sich eine kurzfristige Steigerung der Aktivität, zum anderen stabilisiert sich das Aktivitätsniveau langfristig auf einem höheren Wert gegenüber dem Betrieb ohne Anreizsystem. Gamification kann also zumindest quantitativ zur Steigerung der Kommunikation zwischen Mitarbeitern über soziale Netze eingesetzt werden. Da auch IBM Connections und MS SharePoint mit Social Site 2010 als Kommunikationsplattformen starke Ähnlichkeit mit einem sozialen Netz wie Beehive haben, dürften sich hier entsprechende Ergebnisse erzielen lassen. Dies passt zu der Beobachtung, dass auch viele öffentlich zugängliche Social Networks auf Spielmechanismen zur Attraktivitätssteigerung setzen[ref]Vgl. auch https://soziotech.org/spielifizierung-in-sozialen-netzwerken.[/ref].
Das Erzeugen kurzfristiger Aktivitätssteigerungen könnte allerdings auch in einem allgemeineren Kontext nützlich sein: Bei der Einführung neuer Software könnten Spielmechanismen als zusätzliche Motivationsquelle die Nutzer dazu animieren, sich mit den Funktionen der Software zu beschäftigen und diese genauer kennen zu lernen. Dadurch könnten Vorbehalte schneller abgebaut und die Akzeptanz gesteigert werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Sowohl beim impliziten Einsatz von Spielmechanismen als auch bei expliziter Gamification scheint der Schwerpunkt auf Belohnungs- und Vergleichsmechanismen zu liegen. Bei Kudos Badges und RedCritter Tracker finden sich jedoch auch Fortschrittsmechanismen und zeitbasierte Dynamiken.
Leider existieren zum jetzigen Zeitpunkt kaum wissenschaftliche Studien zum praktischen Einsatz von Gamification im Unternehmenskontext. Hier besteht ein großer Nachholbedarf, bevor weitergehende Aussagen über die Wirksamkeit getroffen werden können. Die bis jetzt vorliegenden Arbeiten zu IBM Beehive lassen jedoch die begründete Vermutung zu, dass zumindest in sozialen Netzen und ähnlichen Anwendungen ein gewisser Erfolg durch Spielmechanismen erzeugt werden kann.
In (Thom et al. 2012)[ref]Thom, J., Millen, D. R., Dimicco, J., & Street, R. (2012). Removing Gamification from an Enterprise SNS. Proceedings of the ACM 2012 Conference on Computer Supported Cooperative Work (CSCW’12). S 1067-1070. Seattle: ACM.[/ref] wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass ein Teil der Kommentare in Beehive scheinbar wenig konkreten Bezug zum kommentierten Inhalt hatten. Hier stellt sich die Frage welche Auswirkungen dies auf die Arbeitsleistung der Mitarbeiter hat und ob hier unter Umständen regulierende Maßnahmen sinnvoll wären.
Ebenso fehlt es bis jetzt an wissenschaftliche Untersuchungen weiterer Spielmechanismen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit im Unternehmenskontext. Im Besonderen wären dies zeit- und fortschrittsbasierte Mechanismen, da sie bereits in kommerziellen Produkten eingesetzt werden. Daneben wäre auch interessant, wie Epic Meaning und Blissful Productivity gefördert werden könnten, da diese einen besonders starken Effekt in Spielen gezeigt haben.